»Corona-Rebellen«

Seit Ende April protestieren Menschen in München gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie. Auch wenn die formulierten Ziele der Kundgebungen auf den ersten Blick ernsthaft und anschlussfähig wirken mögen (»für Grundrechte«, »für das Grundgesetz«), waren dort von Anfang an rechte Ideologien vertreten. Auffällig viele Teilnehmer*innen kommen aus dem rechten Spektrum, darunter Verschwörungstheoretikerinnen, Antisemitinnen, Mitglieder rechtsextremer Parteien wie AfD, NPD, III. Weg, Identitäre, Pegidaaktivistinnen, rechte Youtuberinnen und Autorinnen, rechte Kampfsportlerinnen und Hooligans. Sie prägen die Veranstaltungen – von den übrigen Teilnehmerinnen entweder ignoriert, klein geredet oder sogar willkommen geheißen.

Die AfD, die anfangs noch hilflos und inhaltlich unentschieden auf die Corona-Krise reagierte, versucht nun, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen. Eine der Münchner Kundgebungen wurde von einem AfD-Funktionär angemeldet, etliche AfD-Politiker*innen sind auf den Kundgebungen präsent – von den Münchner Bezirksausschüssen bis zum Bundestag.

Teilnehmer*innen, die prinzipiell die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen Corona anerkennen, aber vor möglichen gesellschaftlichen Folgen warnen wollen, sind in der Minderheit. Der größere Teil behauptet, dass die Covid-19-Krankheit nicht schlimmer als eine Grippe sei und Ausbreitung des Virus gering, wobei sie verkennen, dass genau dies eine Folge der Eindämmungsmaßnahmen ist, die sie kritisieren. Das Tragen einer Mund-Nasen-Maske (genannt »Maulkorb«) wird abgelehnt. Ein Teil bestreitet sogar, dass es überhaupt einen Virus gibt.

Impfungen (nicht nur eine mögliche gegen Covid-19) werden von vielen generell abgelehnt. Als einer der Hauptfeinde wird von den Protestierenden Microsoft-Gründer Bill Gates ausgemacht. Dieser kontrolliere die WHO und sei treibende Kraft hinter angeblich geplanten »Zwangsimpfungen«, bei denen Menschen Microchips implantiert würden.

Verschwörungsmythen schießen ins Kraut. Der Corona-Virus sei in einem Labor entwickelt und freigelassen worden, um angebliche gesundheitliche Folgen der neuen Mobilfunktechnologie 5G zu vertuschen. Eine andere besagt, dass die Pandemie oder die Maßnahmen dagegen von Regierungen initiiert wurden, um »das Volk« zu kontrollieren und zu unterdrücken. Die Demokratie sei abgeschafft, im Grundgesetz garantierte Rechte würden für immer entzogen, die Rede ist von einer »Corona-Diktatur«. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird mit Erich Honnecker oder gar Adolf Hitler verglichen.

Viele der Verschwörungstheorien verwenden klassische antisemitische Motive: eine angebliche, weltweit agierende »(Finanz-)Elite« versuche über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie an die Macht zu kommen. Als Feindbilder werden die Bilderberger, der jüdische Philanthrop George Soros und Rockefeller benannt. Gleichzeitig werden die Schoah und der Nationalsozialismus verharmlost, indem Impfungen mit Versuchen an Menschen in Konzentrationslagern verglichen werden und sich Impfgegner*in mit den jüdischen Opfern gleichsetzen.

Auch völlig abstruse Verschwörungstheorien wie die unter anderem von QAnon verbreitete Adrenochrom-Verschwörung kursieren auf den Kundgebungen. QAnon-Anhänger tragen T-Shirts mit dem Buchstaben „Q“ und der Aufschrift „WWG1WGA“ („Where we go one we go all“).

Erkennungszeichen etlicher »Corona-Rebellen« untereinander sind – neben weißer Kleidung – Kugeln aus Alufolie, sog. »Querdenker-Bommeln«, die um den Hals gehängt oder an Kleidung oder Taschen befestigt werden.

Obwohl viele der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus nach und nach wieder aufgehoben wurden, erfuhren die Kundgebungen zu Beginn starken Zulauf. Inzwischen schrumpfen die Teilnehmerzahlen, obwohl inzwischen mit dem Königsplatz wieder ein attraktiverer und zentralerer Ort genutzt werden darf. Es wird sich zeigen, ob aus den Corona-Protesten eine neue dauerhafte Pegida-ähnliche Wutbürger-Bewegung erwächst.